NEXT 2016
Editorial
Mehr als nur Rechenleistung
„More Moore“ ist noch lange nicht am Ende. Doch das Internet der Dinge stellt ganz neue Anforderungen an die Halbleiterindustrie.
Kleiner, günstiger, leistungsfähiger – kurz: More Moore. Seit 50 Jahren gilt das für Computerchips. Laut dem „Mooreschen Gesetz“ verdoppelt sich alle zwei Jahre die Zahl der Transistoren pro Flächeneinheit. Gleichzeitig erfordern moderne IT-Systeme neben Rechenpower auch Intelligenz in Form von zusätzlichen Funktionen. „More than Moore“ heißt dieser Branchentrend. NEXT fragte nach bei Sachsens profiliertesten Halbleiterexperten. Sie erklären, mit welchen Strategien die sächsische Chipbranche wettbewerbsfähig bleibt und in Zukunft Geld verdient.
Prof. Mikolajick, wer wie Sie an „More Moore“-Technologien forscht, glaubt an deren Zukunft?
Prof. Mikolajick: Ja, die Veringerung der Strukturbreiten unter dem Stichwort „More Moore“ bleibt die Basis für die Entwicklung der Halbleitertechnologie. Auch die unter dem Stichwort „More than Moore“ zusammengefassten Technologien werden der Strukturverkleinerung folgen, wo immer das technisch machbar und ökonomisch sinnvoll ist. Dann werden auf Chips, die mit kleineren Strukturbreiten gefertigt werden, auch Funktionen hinzukommen, die wir heute nur von Chips in älteren Technologiegenerationen kennen.
Wo sehen Sie die Grenzen von „More Moore“?
Prof. Mikolajick: Die harte Grenze ist sicher unterhalb von 5 Nanometer in physikalischen Dimensionen. Der Abstand zwischen zwei leitfähigen Gebieten ist dann so klein, dass eine Isolierung aufgrund des quantenmechanischen Tunneleffektes nicht mehr möglich ist. Derzeit! (lacht). Am namlab und im Excellenzcluster cfaed forschen wir an resconfigurierbaren Bauelementen wie z. B. resistiven Schaltern und reconfigurierbaren Transistoren, um mit größeren Strukturn mehr Rechenleistung zu erzielen und damit die Physik auszutricksen. Allerdings stehen wir mit solchen Ansätzen noch ganz am Anfang.
Dr. Wijburg, auch für Globalfoundries galt jahrelang „More Moore“. Und jetzt?
Dr. Wijburg: Technologisch geht mit Sicherheit noch etwas, Chips schneller und besser zu machen. Aber wirtschaftlich passt das Mooresche Gesetz nicht mehr. Auf dem globalen Halbleiter-Markt gibt es viele Spieler. Da müssen wir uns hier in Dresden, Deutschland und Europa fragen, wo wir eine Chance haben, zu gewinnen.
Wie hat Globalfoundries diese Frage für sich beantwortet?
Dr. Wijburg: Für uns in Dresden ist das klassische „More Moore“ keine Option mehr. Den Weg der High Performance für Smartphones, Netzwerke und Gaming werden andere Globalfoundries Standorte weitergehen – unter Einbeziehung hoher Entwicklungskosten. Das rechnet sich hier am Standort nicht mehr.
Prof. Lakner, welchen Weg verfolgt der Fraunhofer Verbund Mikroelektronik?
Prof. Lakner: Die Mikro- und Nanoelektronik ist die Schlüsselindustrie für alle relevanten Industriebranchen in Deutschland und Europa. Dazu gehört natürlich Rechenleistung. Aber wir legen „More Moore“ großzügiger aus. Deshalb spielt die funktionelle Diversifizierung für uns eine zentrale Rolle.
Was bedeutet das in der Praxis?
Prof. Lakner: Im Kern geht es um die Erweiterung der Nanoelektronik durch mikro- und nanoskalige Funktionsblöcke, die in einem elektronischen System integriert sind. Und auch mit den „More than Moore“-Technologien kann man Performance realisieren. Ein Beispiel dafür ist 3D-Integration – also ein System bestehend aus vertikal gestapelten Chips. Aber auch hier sind wir gedanklich nicht am Ende. Als die Halbleiterproduzenten mit Strukturverkleinerungen die Kosten noch signifikant verringern konnten, hat niemand so genau auf das Schaltungsdesign oder den Systementwurf geschaut. Hier schlummern noch Potenziale.
Worin liegt die Zukunft der Halbleiterindustrie in Dresden, Sachsen, Deutschland und Europa?
Dr. Wijburg: Es geht jetzt darum, eine Vielzahl von Produkten und Geräten miteinander zu verbinden: im Internet der Dinge unter Einbeziehung von Applikationen. Halbleiter spielen dabei eine wichtige Rolle – als „Enabler“ für Applikationen. Dafür braucht es aber nicht einen immer schnelleren Mikroprozessor.
Prof. Lakner: Genau. Das Internet der Dinge verlangt geradezu nach Chips mit Funktionen, ganz egal ob Sie an eine vernetzte Industrieproduktion denken, an intelligente Stromnetze oder Mobilitäts- und Lifestyle-Anwendungen. Diese Entwicklung hat eine besondere Bedeutung für die deutsche und europäische Industrie. Damit verbunden sind enorme Wachstumschancen für die traditionell starken Industriebranchen in Deutschland wie dem Maschinen- und Anlagenbau, der Automatisierungs- und Energietechnik, dem Automobilbau und der Medizintechnik.
Dr. Wijburg: Und was man in einer „Internet der Dinge-Welt“ keinesfalls vergessen darf, ist ein niedriger Stromverbrauch ...
Prof. Mikolajick: Richtig. Energieeffizienz ist im wahrsten Sinne des Wortes ein heißes Thema. Aktuelle Prognosen für die Entwicklung der Mikroelektronik sagen voraus, dass die gesamte Energieerzeugung im Jahr 2040 nicht mehr ausreichen wird, um den Energiebedarf der weltweit eingesetzten Elektronik zu decken. Wir benötigen technologische Sprünge – und „More Moore“ allein deshalb, weil mit einer stetigen Verkleinerung der Chips auch eine signifikante Senkung des Energiebedarfes pro Schaltfunktion verbunden ist.
In welchen Anwendungsbereichen sehen Sie in den nächsten Jahren die größten Märkte für Halbleiter?
Dr. Wijburg: Das sind der Automobilbau, der Energiebereich mit den Themen Datensicherheit, Datenmanagement und Authentizität von Produkten, die Industrie 4.0 bzw. der Mobilfunk 5G. Ein großer Anwendungsbereich wird auch die Logistik sein. Hier geht es um das globale Tracking von Millionen von Produkten und die Minimierung von Lagerzeiten. Und dann noch der große Healthcare-Bereich: Sensoren wandern durchs Blut und helfen bei Diagnosen und Behandlungen. Verständlich, dass hier ein geringer Stromverbrauch bei den Chips enorm wichtig ist. Hier ganz vorn mitzumischen, diesem Wettbewerb wollen wir uns stellen.
Prof. Mikolajick: Mit den heute vorhandenen Technologien können wir noch einen Großteil der Marktbedürfnisse abdecken. Allerdings geht der Trend dahin, dass uns technische Systeme immer mehr auch bei alltäglichen Aktivitäten assisitieren. Das autonom fahrende Auto ist ein viel zitiertes Beipiel. Für diese Anwendungen benötigen wir kleine, energieffeziente und billige Chips mit Rechenpower und Intelligenz.
Wie soll das geschehen?
Dr. Wijburg: Zum Beispiel mit unserer neuen Chipgeneration. Die auf der FDX-Technologie basierenden Halbleiterbausteine mit einer Struktur von 22 und 12 Nanometern haben das Potenzial, die Welt zu verändern und eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Internets der Dinge zu spielen. Bei einer großen Veränderung wie der Welle des Internets der Dinge gewinnt nicht automatisch der den Wettbewerb, der bisher groß im Geschäft war, sondern der, der etwas Neues für die kommende Produkt-Welle anbietet. Und das tun wir mit den FDX 22 und FDX 12. Unsere Kunden brauchen gute Produkte, die viele verschiedenen Anwendungen bei vielen verschiedenen Technologien ermöglichen und einen sehr geringen Stromverbrauch haben.
Prof. Lakner: Auf diesem Weg werden wir Globalfoundries begleiten. Denn auch wir sehen, dass die Entwicklung hin geht zu mehr Diversifizierung, also zu Produkten, die unterschiedliche Kundenbedürfnisse ansprechen.
Vielen Dank für dieses Gespräch.
Unsere Experten
Prof. Hubert Lakner
Geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme (IPMS); Vorsitzender des Direktoriums des Fraunhofer Verbundes Mikroelektronik; Professor für Optoelektronische Bauelemente und Systeme an der Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Dresden
Fraunhofer IPMS
Maria-Reiche-Straße 2, 01109 Dresden
Tel.: +49 351 8823 111
Prof. Thomas Mikolajick
Professor für Nanoelektronische Materialien am Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik der TU Dresden; Geschäftsführer des Nanoelectronic Materials Laboratory (NaMLab) der TU Dresden & Leiter des BMBF-Spitzenclusters „Cool Silicon“ und Leiter des Forschungspfades „Silicon Nanowires im Rahmen des Excellenzclusters „center for advancing electronics Dresden (cfaed)“
Namlab GmbH
Nöthnitzer Straße 64, 01187 Dresden
Tel.: +49 351 2124 990 20