Rückblick

Textilfabrik der Zukunft

Das autonome Fahren wird derzeit häufig in den Medien thematisiert. Es ist ein gutes Beispiel für die aktuell rasante Entwicklung im Bereich Digitalisierung, das viele Personen anspricht, da wir nahezu täglich in Kontakt mit Fahrzeugen sind, sei es der öffentliche Nahverkehr oder der persönliche PKW. Die Herausforderungen und Probleme beim autonomen Fahren verdeutlichen, was es bedeutet, wenn Maschinen untereinander kommunizieren und mit ihrer Umwelt interagieren müssen. Dabei werden die Parallelen zu einer vernetzten Produktion und der (Textil-) Fabrik der Zukunft deutlich.

Die Digitalisierung gewinnt in deutschen Unternehmen zunehmend an Bedeutung, die Investitionen mit Industrie 4.0-Bezug weisen einen steigenden Trend auf, die Digitalisierung hält Einzug, so auch in der Textilbrache.

Individualisierung durch Produktkonfiguration

Die Produkte der Textilfabrik der Zukunft werden sich durch kundenindividuelle Ausgestaltung auszeichnen und entsprechen somit dem Trend Mass Customization. Klassische textile Produkte, wie bspw. Bettwäsche, Bekleidung oder auch Sport- und Freizeittextilien werden kundenindividuell bedruckt, sogar der Einsatz von 3D-Druck für das Aufbringen von dreidimensionalen Elementen ist möglich. Zusätzliche Funktionalitäten erhalten die Produkte durch das Einbringen von Sensorik und Aktorik, was auch die Interaktion mit einem Smartphone ermöglicht, um die Funktionspalette zu erweitern. Zur Gestaltung kundespezifischer Smart Textiles stehen Online-Produktkonfiguratoren zur Verfügung, in denen das Produkt unter definierten Rahmenbedingungen zusammengestellt werden kann. Dabei sind Konfigurationsmöglichkeiten in Bezug auf Rohstoff, Art der Flächenbildung, Druckmuster, Ausrüstung, 3D-Strukturen oder auch elektronische Komponenten denkbar.

Leitfähige Strukturen aus dem 3D-Drucker (Quelle: STFI/Wolfgang Schmidt)Leitfähige Strukturen aus dem 3D-Drucker (Quelle: STFI/Wolfgang Schmidt)

Der Kunde kann sein Produkt selbst konfigurieren bzw. auf nutzerspezifische Vorschläge zurückgreifen, welche auf Basis des Online-Nutzerprofils des Kunden und bisheriger Bestseller generiert werden. Nach Abschluss der Konfiguration wird die Bestellung ausgelöst, das Produkt direkt online bezahlt und anschließend die Konfiguration an die Textilfabrik der Zukunft übermittelt. Diese leitet über verschiedene Algorithmen und Konverter aus der Produktkonfiguration Maschinenparameter und Ressourcenbedarfe ab, und konvertiert Muster in maschinenlesbare Daten. Der Mitarbeiter nimmt dabei eine überwachende Funktion ein und greift durch Stichprobenprüfungen nur indirekt in die Datentransformation ein. Um dies zur ermöglichen, ist es notwendig, vorher das Expertenwissen der Technologen digital abzubilden und in ein Technologiemodellierungstool einzupflegen. Alle möglichen Kombinationen sowie Input-Output-Zusammenhänge sind darin abgebildet, um sicherzustellen, dass der Übersetzungsalgorithmus alle erforderlichen Daten richtig interpretiert.

Smarte Produktionsprozesse

Nachdem die Produktdaten in einen Fertigungsauftrag überführt wurden, werden die erforderlichen Anlagen konfiguriert. Da nicht jedes Modul für jeden Auftrag benötigt wird, können Maschinenmodule mittels Plug-&-Produce ergänzt werden. Beim Koppeln von Anlagenmodulen erfolgt ein automatisierter Datenaustausch, der die Kommunikation und Funktionsbereitschaft sicherstellt sowie die Hierarchie (Master/Slave) festlegt. Schon während der Anlagenkonfiguration werden alle erforderlichen Komponenten (Ausgangsprodukte) an den Ort des Bedarfs gebracht. Die Ausgangsprodukte und die Transporthilfsmittel sind dabei durchgängig mittels Auto-ID (bspw. RFID) automatisch identifizierbar. Auf den Auto-ID-Tags werden Daten zur Historie mitgeschrieben, aber auch Gebrauchshinweise und Maschinenparametergrenzwerte (z. B. für Verarbeitungsgeschwindigkeiten) sind hinterlegt. Die aus dem Fertigungsauftrag abgeleiteten Logistikaufträge laufen nicht über ein zentrales Logistiksystem, sondern über einen zentralen Logistikauftragsmarktplatz, um die Auftragsvergabe flexibler und anforderungerechter zu gestalten. Der Auftragsmarktplatz ist so ausgestaltet, dass sich die Logistiksysteme und Produktionssysteme anmelden. Die Logistiksysteme handeln in der Folge automatisch ihre Aufträge aus. Dies kann basierend auf Verfügbarkeit oder Kapazität erfolgen. Nachdem die passende Logistikkomponente gewählt wurde, fährt diese fahrerlos in den Lagerbereich. Die fahrerlosen Transportsysteme fahren autonom vom Lager zur Produktionsanlage. Geortet werden sie über Spotmarker am Boden und über ein Indoor-Ortungssystem. Das Logistiksystem meldet dem Logistikauftragsmarktplatz automatisch und damit indirekt dem Produktionsplanungs- und Steuerungssystem (PPS-System) die Beendigung des Logistikauftrages zurück.

Schematische Darstellung des Logistikauftragsmarktplatzes mittels AgentenSchematische Darstellung des Logistikauftragsmarktplatzes mittels Agenten

Im nächsten Schritt wird das PPS-System Arbeitsaufträge zur Beschickung der Anlagen auslösen. Der Mitarbeiter erhält über Augmented Reality-Brillen Informationen zum Auftrag, so bekommt er bspw. visualisiert, wie die Anlage zu rüsten ist. Auch können Informationen zu Bearbeitungsparametern des Produktes übermittelt werden. Der Mitarbeiter wird somit bei seiner Arbeit informationsseitig assistiert.

Damit alle relevanten Informationen der Produktion zur Verfügung gestellt werden können, liefert der Rohstoff- bzw. Komponentenlieferant Gebrauchsinformationen direkt auf dem Produkt mit. Diese Hinweise können sich auf Maschinenparametergrenzwerte und auch auf Tätigkeitshinweise zum Gebrauch des Produktes beziehen und sind mittels RFID-Tag am Produkt hinterlegt. Nachdem die Anlage anforderungsgerecht bestückt und freigegeben wurde, beginnt die Fertigung. Um die Produkte innerhalb der Fertigung nachverfolgen zu können, werden auch diese mittels RFID identifizierbar gemacht. Somit kann eine Nachverfolgbarkeit über alle Produktionsstufen realisiert werden. Die Fertigungssysteme sind an das PPS-System gekoppelt, nehmen entsprechend Fertigungsaufträge entgegen und melden den Fertigungsfortschritt zurück. Die Kundenindividualisierung findet vor allem durch Veredlungs- und Konfektionsprozesse statt. So kommen Druck-Systeme zur Musterung, Schneidsystem zur Konfektion, Beschichtungsanlagen zur Ausrüstung oder Sticksystem zur Elektronikintegration zum Einsatz. Der Kunde erhält ein spezifisch für ihn gefertigtes Produkt.

Die eingesetzte Anlagentechnik erfüllt die gängigen Industrie 4.0-Standards. Mittels moderner Kommunikationsschnittstellen wie OPC-UA erfolgen die Kommunikation und der Datenaustausch. Über Kamerasysteme und ergänzende Sensorik werden alle relevanten Daten erfasst, um beispielsweise Webmaschinen zu selbstlernenden System weiterzuentwickeln. Durch eine umfangreiche Datenerfassung und Auswertung werden Auffälligkeiten an einzelnen Anlagenkomponenten detektiert, selbstständig Entscheidungen für eine Prozessanpassung vorgenommen und Schlüsse für Folgeaufträge gezogen. Das intelligente Instandhaltungssystem, welches ebenfalls die Maschinendaten nutzt, stellt die Funktionsfähig der Anlagentechnik sicher. Durch Algorithmen werden die erfassten Daten ausgewertet und daraus Wartungstätigkeiten abgeleitet. Dabei werden auch die Daten aus dem PPS-System mit einbezogen, um die Instandhaltungstätigkeiten zum optimalen Zeitpunkt durchzuführen. Der Transport und das Handling der Zwischen- bzw. Endprodukte sind hochautomatisiert, fahrerlose Transportsysteme und mobile Roboter übernehmen das Teilehandling. Für die Sicherheit sorgen dabei Kamera-, Sensor- und Ortungssysteme, die die autonom fahrenden TUL-Hilfsmittel permanent überwachen und die Arbeitssicherheit garantieren.

Forschungs- und Versuchsfeld Textilfabrik der Zukunft am Sächsischen Textilforschungsinstitut e.V. (Quelle: STFI/Ines Escherich)Forschungs- und Versuchsfeld Textilfabrik der Zukunft am Sächsischen Textilforschungsinstitut e.V. (Quelle: STFI/Ines Escherich)

Wie aufgezeigt, bringt die Digitalisierung einen Wandel mit sich, der das gesamte Unternehmen betrifft. Nicht nur Anlagetechnik sondern auch Mitarbeiter, Unternehmenskultur sowie Denk- und Arbeitsweisen sind davon betroffen. Change Management bietet sich an, um diesen Wandel optimal auszugestalten und auch den Menschen und dessen Bedarfe dabei zu berücksichtigen. Denn auch im Zeitalter von Industrie 4.0 wird der Mensch der wichtigste Faktor eines Unternehmens sein und die digitalisierte Textilfabrik der Zukunft am Laufen halten.

Kontakt

Prof. Dr. Yves-Simon Gloy
Sächsisches Textilforschungsinstitut e. V. (STFI)
stfi@stfi.de 
+49 371 52 740

Website


Bilder: Sächsisches Textilforschungsinstitut e. V. (STFI) /  Wolfgang Schmidt / Ines Escherich